Wie Kinder heute wachsen

Montag, 31. August 2015 - in Lesestoff

 

Kinder, Natur und ganz viele Denkanstöße

 

Dieses Buch ist für Menschen geschrieben, die mit Kindern leben und wissen möchten, warum Kinder und Natur zusammen gehören. Dies wird von den beiden Autoren Herbert Renz-Polster (Kinderarzt und Wissenschaftler) und Gerald Hüther (Professor für Neurobiologie) auf 263 Seiten umfassend dargestellt. Zitat Renz Polster: „Natur ist eben nicht einfach eine nette Ergänzung zum Alltag. Sie ist mehr als ein Erholungsraum, mehr als ein Ort um seine Batterien aufzuladen und sich auszutoben. Natur ist für Kinder so essentiell wie gute Ernährung. Sie ist ihr angestammter Entwicklungsraum.“ Davon wird mancher Leser am Ende des Buches ebenfalls überzeugt sein und seinen Alltag mit Kindern neu betrachten. Und vielleicht wird er ihnen wieder mehr Freiheit lassen, den „Schatz dort draußen“ zu finden. Das wäre doch schön!

 

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Der Inhalt des Buches ist in folgende acht Kapitel gegliedert:

  • Entwicklung von oben betrachtet
  • Der Schatz dort draußen
  • Natur und Gesundheit
  • Warum schlagen wir das Angebot aus?
  • Das große Drinnen - von Computer und Kinderspielen
  • Ist die Natur denn gefährlich?
  • Wege in die Natur
  • Naturerfahrungen in einer bedrohten Welt

Zu Beginn verdeutlicht Renz-Polster, wie sich die Erziehungsvorstellungen im Laufe der letzten 100 Jahre gewandelt haben und umschreibt die Haltung der Eltern von heute mit folgenden Worten: „Gegen Ende des letzten Jahrhunderts schlug schließlich die Stunde der pädagogischen Rundumversorgung. Was aus Kindern einmal werde, entschiede sich am guten Beispiel und am Einsatz der Erwachsenen. Eltern setzten jetzt ihre ganze Energie daran, eine möglichst gute Leitfigur abzugeben. Ja, sie bauten sich zu Lehrern, Trainern und Anspornern auf – und bekamen es postwendend mit der Angst zu tun: Was, wenn ich nicht genug Einsatz bringe? Was, wenn ich selbst einmal einen Durchhänger habe? Was, wenn ich nach der falschen Methode vorgehe?“  Hier spricht der Autor sicher die Sorgen vieler Eltern an, und häufig führt der Wunsch nach Förderung des Nachwuchses zu vollgepackten und durchstrukturierten Tagen. Eltern, die sich zurückhalten und für ihr Kind lieber nicht einen der angebotenen Kurse buchen, haben oft Zweifel an ihrem Handeln. Um zu verstehen, was für die kindliche Entwicklung wichtig ist, bekommt der Leser nun einige spannende Einblicke in die Entwicklungspsychologie. Fazit ist: auf der Basis einer verlässlichen, authentischen und feinfühligen Beziehung werden Kinder von sich aus aktiv und erforschen ihre Umwelt. Zielgerichtet und genau dort, wo sie die notwendigen Anregungen für ihren nächsten Entwicklungsschritt vorfinden. Zitat Renz-Polster: „Über diesen Drang der Selbsttätigkeit lernen sie.“ Dafür brauchen unsere Kinder Freiräume, die ihnen genügend Luft zum selbstmotivierten Entdecken, Träumen und Spielen lassen. Und damit sind wir wieder bei der Natur. Renz Polster: „Die Natur macht den Kindern ein Angebot. Es ist größer und reicher als das, was wir heute in unserer künstlichen Betulichkeit als „Förderung“ abgespeichert haben. Und es reicht tiefer.“ Welche kindlichen Bedürfnisse hier befriedigt werden und zur Entwicklung beitragen, wird von den beiden Autoren umfassend beschrieben. Dabei lassen sie auch den Blick auf die Medien (Fernseher, Computerspiele..) nicht außen vor. Schön ist, dass hier nichts verteufelt wird, allerdings wird deutlich, dass Vorsicht geboten ist.  In weiteren Kapiteln, wie „Natur und Gesundheit“  werden die positiven Auswirkungen auf Seele und Körper des draußen Spielens erläutert: „Die Forschung zeigt ganz klar: Kinder, die zum Spielen draußen sein dürfen, schlafen besser. Kinder können sich eindeutig besser konzentrieren, nachdem sie draußen waren.“ Renz-Polster spricht hier als Kinderarzt von einer „Gesamtimpfung für das Immunsystem“.

Jeweils am Kapitelende kommt Gerald Hüther zu Wort: „…er öffnet ein Fenster, durch das der Leser weiter in die Tiefe – auch unseres Gehirns – blicken kann.“ Dies liest sich dann z.B. in seinen Ausführungen zur Achtsamkeit so: „Wer schon als Kind gelernt hat, sich mit Achtsamkeit in der Welt zu bewegen, entwickelt von Anfang an in seinem Gehirn ein reichhaltiges Spektrum an Verknüpfungen, der kann neue Wahrnehmungen auf vielfältigere Weise an bereits verankerte Sinneserfahrungen anknüpfen. So jemand erlebt die Welt dann zwangsläufig als reicher, spannender und vertrauter. Und deshalb lernt er auch mehr und interessiert sich für mehr…..Wo also findet sich heutzutage noch ein Erfahrungsraum für Heranwachsende, der sie einlädt, ermutigt und inspiriert, achtsam zu sein und sich behutsam mit dem, was es dort zu entdecken und zu gestalten gibt, zu beschäftigen? Sie ahnen es: im Wald, im Garten oder im Park, an einem Bachlauf oder an einem kleinen Tümpel, auf blühenden Wiesen oder sogar auf dem Balkon. Überall dort, wo es Leben gibt, das nichts anderes als leben will, in der freien, nicht von uns für bestimmte Zwecke benutzten und zurechtgestutzten Natur. Wo man aus dem Staunen nicht herauskommt und es überall Neues zu entdecken gibt, wo die Welt nicht von uns Erwachsenen für die Kinder gemacht, sondern von ganz allein so bunt und vielfältig geworden ist, wie sie eben natürlicherweise ist.“

Fazit

Das Buch „Wie Kinder heute wachsen“  ist für Eltern, Großeltern, Pädagogen und Naturliebhaber geschrieben und locker lesbar. Einzig der manchmal verschlungene Schreibstil hat mich ein wenig gestört. Den beiden Autoren gelingt es ganz nebenbei,  Eltern von dem Druck zu befreien, die Kleinen früh und Best möglichst fördern zu müssen. Aber auch Pädagogen finden für ihre tägliche Arbeit mit Kindern gute, wissenschaftlich fundierte Argumente, sich dem Förderdruck entgegenzustellen und stattdessen der Natur als Lehrmeister mehr Raum zu geben. Es ist sehr schön, ein Buch in der Hand zu halten, das von den Bedürfnissen der Kinder ausgeht und uns Erwachsenen Mut macht. Sehr zu empfehlen! Zudem ist das Buch schön gestaltet, fühlt sich gut an und viele Fotos ergänzen den Text. Dafür hat es die Auszeichnung der Stiftung Buchkunst als eines der schönsten deutschen Bücher erhalten.

 

Das Buch hat bei mir viele Erinnerungen an die eigene Kindheit und das Aufwachsen meiner Kinder geweckt. Wie ist es euch ergangen? Oder euren Eltern? Wie viel „raus in die Natur“ könnt ihr heute in euren Familienalltag einbauen? Und welche Erlebnisse draußen sind für eure Kinder zu einem „goldenen Schatz“ geworden? Wenn ihr Lust habt, schreibt einen Kommentar, ich bin schon gespannt auf eure Erfahrungen.

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